Bei der Sonnwendfeier in der Wachau werden Funken abgebrannt. Die Wachau ist ein Tal, das sich die Donau durch den Ausläufer der Böhmischen Masse zwischen Melk und Krems gebrochen hat. Auf den Hängen wird Wein angebaut. Aus dem Mittelalter gibt es Burgruinen in Aggstein, Spitz und Dürnstein. Die Funken sind auf Anhöhen, sodaß sie von Weitem sichtbar sind. In Spitz an der Donau werden in den Weingärten am Tausendeimer Berg und am Singerriedel Fackeln entzündet und das Rote Tor in bengalisches Licht getaucht.
Jedes Jahr kommen viele Leute in die Wachau und picknicken in den Weingärten bis es dunkel wird und das Schauspiel beginnt. Der Höhepunkt sind die Feuerwerke in Spitz, Weißenkirchen, Rossatz und Dürnstein. Zahlreiche Schiffe sind auf der Donau unterwegs, um das Spektakel aus der Nähe zu beobachten. Sie fahren von Krems nach Spitz und, wenn die Feuerwerke abgeschossen werden, wieder zurück.
Die Erde kreist in einem Jahr einmal um die Sonne. Die Sommersonnenwende ist das astronomische Ereignis, das dann stattfindet, wenn die Sonne am weitesten vom Äquator entfernt ist. Das ist der Tag, an dem die Sonne am höchsten über dem Horizont steht.
Die Erdachse ist zur Ebene, in der die Erde um die Sonne kreist, geneigt. Im Sommer zur Sonne hin und im Winter von ihr weg. Im germanischen Jahreskreis ist die Sonnwendfeier ein zweimal jährlich stattfindendes Fest. Das Sonnwendfeuer des Mittsommers stellte im germanischen Altertum das heilige Feuer der Sonne dar. Feuer liefert wie die Sonne Licht und Wärme.
In der Vergangenheit war es schwierig, ein Feuer anzuzünden. Einmal angezündet durfte es nur bei bestimmten rituellen Anlässen ausgehen. Nach der griechischen Mythologie erbeutete Prometheus einige Funken von Helios‘ Sonnenwagen und brachte das Feuer den frierenden Menschen. Feuer wurde deshalb auch oft als eine inkarnierte Gottheit angesehen, und jeder, der damit umging, als eine Art Priester, wie z.B. der Schmied, der Erz in Metall umwandelte oder eine Frau, die das Herdfeuer unterhielt.
Die Feuer zur Sommersonnenwende waren im Mittelalter sehr verbreitet. Die Kirche ersetzte das Fest der Sommersonnenwende durch jenes der Geburt Johannes des Täufers. In der Mitte des Jahres, genau sechs Monate vor Heiligabend, feiern Christen die Geburt Johannes‘ des Täufers. Aus den Sonnwendfeuern wurden die Johannesfeuer. In der Wachau in St. Johann im Mauerthale wurde eine Kirche auf Johannes den Täufer geweiht. Durch die Einführung der Johannesfeuer hat die Kirche versucht, den heidnischen Hintergrund der Sonnwendfeuer zu verdrängen.
Das Johannesfeuer wird meist in der Nacht vor dem Johannistag angezündet. Vor allem auf Bergen ist es ein altes Symbol für die Sonne. Das Johannisfeuer sollte Dämonen abwehren, die Krankheiten hervorrufen und insbesondere sollten Hagelschäden abgewehrt werden. Das Johannisfeuer wird daher auch als Hagelfeuer bezeichnet. Das hat für die Wachau einen besonderen Stellenwert, wie 2020 neuerlich unter Beweis gestellt wurde, weil unter anderen in der Riede Setzberg in Spitz an der Donau ein großer Teil der Weinernte durch Hagel vernichtet wurde.
Die Germanen haben die Zeitrechnung nach dem Himmel vorgenommen. Von Bergen oder Anhöhen aus haben sie die Sonnenwendepunkte geortet. So ist das an heiligen Stätten noch heute erkennbar. Zum Beispiel bei den Steinzirkel von Stonehenge in England. Sie weisen die Richtlage zur Junisonnenwende auf. Von der Mitte der stehenden Steine kann man noch immer den Sonnenaufgang zur Sommersonnenwende über dem Fersenstein beobachten, der direkt vor dem Hauptring steht. Der Wendepunkt der Sonne war der Beginn des Sonnenjahres.
Zur Zeit der Einführung des Julianischen Kalenders durch Julius Caesar lag die Sommersonnenwende auf dem 24. Juni. Der heute übliche Gregorianische Kalender entstand Ende des 16. Jahrhunderts durch eine Reform des julianischen Kalenders. Er ist nach Papst Gregor XIII. benannt.
Das erklärt die Diskrepanz zwischen den von der Kirche eingeführten Johannesfeuer am 24. Juni und den heutzutage am 21. Juni stattfindenden Sonnenwendfeiern. Nach Einführung des Gregorianischen Kalenders hielt die Kirche am 24. Juni als Festtag für Johannes dem Täufer fest, während das astronomische Ereignis der Sommersonnenwende auf den 21. Juni zu liegen kam.
Für die Sonnenwendfeiern in der Wachau ist das relativ unerheblich, da sie ohnehin an einem Samstag vor oder nach dem 21. Juni stattfinden, wenn nicht zufällig gerade der 21. Juni selbst ein Samstag ist. Darauf wurde früher keine Rücksicht genommen. Noch Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts finden sich Zeitungsberichte, denen zufolge die Sonnwendfeiern am 24. Juni stattfanden, unabhängig davon, was für ein Wochentag das gerade war.
Im Folgenden ist ein Bericht in der Kremser Zeitung wiedergegeben.
„Fürwahr ein reges Leben spielte sich ab in Krems und in der Wachau am 24. Juni 1894. Am Tage der Sonnenwende wurden zahlreiche Fremde aus allen Gegenden Niederösterreichs herbeigelockt, das Schauspiel zu sehen, von dem vorher so viel geredet und geschrieben worden. Da waren vor allem die Wiener, wie ganz natürlich, am stärksten vertreten.
Nicht weniger, als fünf Separat-Dampfer musste die Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft zur Beförderung der Teilnehmer an der Feier beistellen. Abends fuhren sämtliche von Melk auf ihren bezüglichen Dampfboden stromabwärts durch die festlich beleuchtete Wachau nach Krems.
Am glänzendsten war, wie immer, Dürnstein. Das alte Städtchen mit seinem herrlichen Turme, der Schlossberg mit der in Trümmern liegenden Feste erschienen durch die farbigen Lichter wie Stätten aus der Märchenwelt. Unterhalb Dürnstein erschienen auf dem lautlos dahinfließenden Strome eins um das andere die schwimmenden Lichtlein, welche bald die ganze Breite des Stromes übersäeten.“
In den Kremser Nachrichten der Österreichische Land-Zeitung vom 30.6.1906 heißt es: Sonnenwend Feier
„Das völkische Fest der Sonnenwende wurde noch nie so glänzend begangen, ist noch nie unter solch großer Beteiligung und Begeisterung verlaufen, als heuer. Die vielen Tausende Fremder haben den Eindruck mit nach Hause genommen, dass sich die Wachauer unter keinen Umständen am Ausdruck ihres Deutschbewusstseins hindern lassen wollen.
Eine fröhliche Menschenmenge bewegte sich am Donnerstrande und freute sich am schönen Feste, das seinen Höhepunkt erreichte, als die Lichtlein in Massen auf der Donau herab geschwommen kamen. Die beleuchtete Ruine Dürnstein bot einen wunderschönen Anblick, ebenso waren die Steinbrüche diesseits und jenseits der Donau herrlich beleuchtet.
Die Kirche zu Sankt Michael, die Ruine Hinterhaus, das Schloss Hof-Arnsdorf, das alte Münster zu Spitz erstrahlten in bengalischem Lichte.“
Bengalische Feuer wurden zur effektvollen Beleuchtung von Gebäuden eingesetzt. Der Begriff bengalisch ist abgeleitet von dem Namen der historischen Region Bengalen, heute Bangladesch. Die dortigen Fürstenhöfe wurden durch bunte Lichter beleuchtet. Zur Erzeugung bunter Lichter wurden Schwefel, Nitrat und Salpeter verwendet. Bengalische Feuer werden meist in Form von Fackeln verwendet.
Voraussetzung für das Ansteigen des Fremdenverkehrs in der Wachau war der Bau der Donauuferbahn. Sie wurde 1909 eröffnet und verläuft auf einer beeindruckenden Trassenführung auf höherem Niveau als die Straße mit Viadukten und Tunnel.
„DER FREMDENVERKEHR“, Illustrierte Wochenschrift zur Förderung der Reise- und Verkehrsinteressen Österreichs, OFFIZIELLES ORGAN des Landesverbandes für Fremdenverkehr in Wien und Niederösterreich, des Landesverbandes für Fremdenverkehr in Salzburg und der Gesellschaft der Österreichischen und Ungarischen Hoteliers und Restaurateure in Großbritannien brachte in Heft Nr. 25 vom 23. Juni 1912 folgende „Offizielle Mitteilung“: Sonnwendfeier in der Wachau
„Montag den 24. Juni findet die Sonnenwendfeier in der Wachau statt. Die Städte Krems, Stein und Mautern werden die umliegenden Höhen mit Feuern versehen, den Strom selbst durch schwimmende Lichter beleben und die Steiner Fahrbrücke festlich beleuchten.
Spitz an der Donau wird eine bengalischen Beleuchtung der Ruine Hinterhaus, des roten Tores sowie der Kirchen in Spitz und Sankt Michael veranstalten, auf der Donau Lichter schwimmen lassen, Raketen abfeuern, die Donaulände und die Schiffe mittels Lampions beleuchten sowie eine große Plätte von der Floßlände über die Donau nach Arnsdorf und dann wieder zurück verkehren lassen, wobei eine Musikkapelle konzertieren wird.
Nach der Feier findet im Hotel „Wachauer-Hof“ in Spitz eine Tanzunterhaltung statt. Zur Besichtigung aller dieser Veranstaltungen können die Personenzüge von Wien-Franz Josefsbahnhof nach Krems benützt werden. Besonders empfehlenswert ist es, den Dampfer ab Krems um 8:00 Uhr abends bis Spitz, an 9:48 abends, zu benutzen und in Spitz zu übernachten.“
„Die am 24. Juni hier abgehaltene Sonnenwendfeier nahm bei Sang und Klang und fröhlichem Jauchzen einen schönen Verlauf. Zu diesem Feste hatten sich Fremde überaus zahlreich eingefunden. Tausende von Lichtern in Eierschalen schwammen von der Melkmündung aus dem Donauarme in den Donaustrom hinab.
Viele Gondeln mit unzähligen Lichtern in den verschiedensten Farben, Sinnbilder darstellend, befuhren den durch die brennenden Pechsäulen ringsumher in ein Feuermeer verwandelten Donauarm und abwechselnd erklang aus diesem Getümmel Gesang und Konzert.
Böllerschüsse ertönten und ein prächtiges Feuerwerk und die effektvolle Beleuchtung des gigantisch emporragenden Stiftsgebäudes verliehen dem von unseren Vorvordern ( Vorfahren ) überkommenen ( überlieferten ) Feste einen herrlichen Glanz.“
Österreichische Land Zeitung vom 30. Juni 1906, Seite 17
Den Schilderungen gemeinsam sind die Lichter in Eierschalen, die die Donau zur Sonnenwende hinab schwimmen. Eier wurden schon von den Römern zur Vorhersage der Zukunft verwendet. Die Donau war die nördliche Grenze des römischen Reiches. In Mautern gibt es davon noch eine Reihe von sichtbaren Resten zu sehen, z.B. einen Hufeisenturm in der westlichen mittelalterlichen Befestigungsmauer.
Bei der Deutung des Orakels ist so vorzugehen: Von einem frischen Ei sorgfältig das Eiklar vom Eigelb trennen. Ein Gefäß mit kaltem Wasser füllen und das Weiß des Eies tropfenweise hinein fallen lassen. Abdecken und 24 Stunden lang beiseite stellen.
Das Eiweiß erstarrt zu verschieden geformten Figuren, wie z. B. Kreise, Quadraten, Tiere, Bäumen und Kreuze, die gemäß der folgenden Formel zu interpretieren sind: Lange, gewellte Linien kennzeichnen Verluste und Probleme, gerade Linien dagegen bedeuten Frieden, langes Leben, Wohlstand und Glück. Wenn ein Blatt gesehen wird, kommt schnelles Glück von unerwarteter Quelle. Ein Anker bedeutet Treue in der Liebe. Ein Hund ist ein sehr gutes Zeichen. Er symbolisiert treue Freunde.
Quelle: Evening capital and Maryland gazette. (Annapolis, Md.), 30 June 1915.
Die schwimmenden Lichter werde wie folgt hergestellt. Flüssiges Kerzenwachs wird in leere Eierschalenhälften mit einem Docht in der Mitte gegossen. Aushärten lassen. Nach Einbruch der Dunkelheit das Licht anzünden und vorsichtig auf das Wasser aufsetzen und den Donaustrom hinab schwimmen lassen.